Midlife-Crisis-Frauen-Pop

Stets im Schatten der ganz Großen wie Jane Austen oder Virginia Woolf hat Großbritannien noch weitere Frauen hervorgebracht, deren Worte mich von Frau zu Frau magisch berühren. Untrennbar von der Britischen Hochkultur um die vergangene Jahrtausendwende ist etwa der Name Dido. Als ich letzte Woche im Supermarkt kurz vor Ladenschluss das Nusssortiment auf der Suche nach Pimp-Material für mein morgendliches Porridge musterte, stiegen Tränen in meine Augen und verwässerten mir die Sicht auf den Walnusspreis. Unglaublich! Es war sicher 15 Jahre her, seit ich dieses Lied, das leise durch die Supermarktgänge zog, zuletzt gehört hatte. „Here with me“ von Dido. Gänsehautmusik, wie man so hässlich sagt. Denn auch, wenn optisch passend, wenn es einem aufgrund intensiver Sinnesreizungen „die Haare aufstellt“, ist Gänsehaut ja eigentlich der Hautmantel eines toten Tieres, das eigentlich gar keine Empfindungen mehr verspürt, auch nicht, wenn ihm David Garrett höchstpersönlich ein Privatkonzert vorgeigen würde. Die gerupfte, kalte Gänsehaut ist also ein Bild, welches ich ungern mit ergreifender Musik koppeln möchte. Jedenfalls fühlte ich mich sofort ergriffen, mit einer kalten, festen Hand am Nacken gepackt und ins Ende der 90er zurückversetzt, in der noch keine Spur von Verbitterung in mir gewesen war und ich mit diesem Lied die Hoffnung auf kompromisslose Liebe, ein Leben bestimmt von Idealen und geleitet von leidenschaftlichem Handeln verband.

Zuhause angekommen warf ich die YouTube-Maschine an und ließ mich von einer Dido-Playlist anders wie geplant nicht nebenbei berieseln, sondern regelrecht in den Bann ziehen und schenkte ihr meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Es stellte sich nämlich heraus, dass die Frau von so vielem sang, das mich beschäftigte. Besonders „Life for Rent“ hatte es mir an diesem Tag angetan. Vergleichsweise langweilig fand ich diesen Song damals, als er 2003 veröffentlicht wurde, doch nun fand ich ihn … genial? Dieses Gefühl, sich nun einmal für einen Weg entscheiden zu müssen, sich festlegen zu müssen, um Halt zu finden und ein wirklich eigenes Leben aufbauen zu können. Dido was there und fand einen tollen Vergleich. Ein Blick in Disko- und Biografie verriet mir und machte mir einiges klar: Auch Dido war zum Zeitpunkt der Songveröffentlichung mit 31 Jahren eine kinderlose WTF, eine white thirtysomething female. Schade nur, dass heutzutage die Kaufpreise derart hoch sind, dass sich die meisten gar nichts Eigenes mehr leisten können oder wollen und lieber ein Leben lang bei der Mietoption bleiben.

Ein weiteres weibliches Parade-Weißbrot, oder – wie mein Großvater aus heutiger Sicht politisch unkorrekt gesagt hätte – ein „Topfenneger“, war und ist auch die ebenfalls in England aufgewachsene Natasha Bedingfield, die etwas frühreif schon mit guten 25 Jahren solide WTF-Klassiker raushaute, was mir erst bewusst wurde, als mir bei den weiteren Empfehlungen bei meinen Dido-Songs ihre Lieder vorgeschlagen wurden. Diese ihrem zarten Alter zu verdankende, gewisse Prise jugendlichen Optimismus merkt man ihren Songs auch an, ihr Blick ist noch durchwegs positiv, mit ihrer „Tasche voll Sonnenschein“ alle Hindernisse und Widrigkeiten des Lebens überkommen und „ihr Ding“ durchziehen zu können. Uncoole Feelgood-Musik für ein uncooles Alter! Klare Empfehlung!

Bleiben wir thematisch doch gleich auf den Britischen Inseln! Etwas, das mir auch in den letzten 5-7 Jahren vermehrt an mir aufgefallen ist: Meine Stimmung ähnelt immer mehr dem Wetter Irlands. Umschwünge können innerhalb von Minuten bishin zu Sekunden vonstatten gehen. Diese werden vor allem von mir nahestehenden Personen, insbesonders von Partnern aus einer enormen inneren Ungeduld heraus getriggert. Vom Bauchgefühl her habe ich das bisher vor allem den Hormonen zugeschrieben, die möglicherweise in veränderten Zusammensetzungen verstärkt und/oder in geringerem Maße ausgeschüttet werden, je mehr man „reift“. So wie eine Banane, zuvor grün, durch selbst produzierte Reifungsgase immer aromatischer und satter gelb wird; und ehe man’s übersieht, ist sie sensorisch schon „drüber“ und optisch unattraktiv, weil massivst braungefleckt. Grundsätzlich ja kein Problem, man kann ja immer noch Bananenbrot daraus machen, aber genießbar im Sinne von Genuss ist eine braune Banane nach meinem Geschmack nicht mehr wirklich. Nicht mehr ganz genießbar ist auch manchmal meine Stimmung, um den Gedankenkreis von Frauenhormone über Bananen wieder auf das Frausein zurückzuführen. Ich frage mich oft, woher diese Unausgeglichenheit kommt und ob das hormonell bedingte Bananengleichnis stimmt und mein Körper möglicherweise nur angepisst ist, weil er sich monatlich die Arbeit antut, alles für ein potentielles Leben einzurichten und ich diese Arbeit seit Jahren partout nicht zu würdigen weiß. Meredith Brooks‘ „Bitch“ erweckt zumindest den Eindruck, dass auch sie an gröberen Stimmungsschwankungen zu leiden hatte. Zum Zeitpunkt der Single-Veröffentlichung im Jahre 1997 war die liebe Meredith übrigens 38 Jahre alt und hatte noch keine Kinder. Zufall oder ein weiteres Indiz für die Bananenhypothese aka dem Weckruf der inneren Hormon-Uhr? Wie auch immer, aus heutiger Sicht scheint ein Song, der eine Frau als Bitch bezeichnet möglicherweise etwas gewagt, da die Kommentare bei diesem Musikvideo aber deaktiviert wurden, um feministische Anfeindungen gegen die Sängerin aufgrund der Titelwahl vorzubeugen (not… ?), stören wir uns aber nicht weiter dran, denn wo kein Kläger auf YouTube, da kein Richter. Aber immerhin: Eine Grammy-Nominierung als „Beste weibliche Rocksängerin“ für einen mit „Bitch“ betitelten Song – Isn’t that ironic?!

Apropos: „Ironic“ ist auch so ein Song, den ich als Jugendliche in der Dorfdisko sehr gerne mitgegröhlt habe, den Text zwar schon immer verstanden habe, aber die wahre Bedeutung trotzdem erst heute fühle. Der Song hört sich aus heutiger Sicht wie eine Abwandlung des beliebten Trinkspielklassikers „Never ever have I“, bei dem man jedes Mal trinken muss, wenn einem das Leben schon einmal eines der von Alanis Morisette aufgezählten Stolpersteine in den Weg gelegt hat. Stockbetrunken wie damals in der Dorfdisko würde ich aus diesem Spiel hervorgehen…

Auf das letzte Video dieser unvollständigen 30er-Frauenthemen-Compilation machte mich eine fabelhafte Freundin aufmerksam, die sich so fühlte, als sänge ihr Nelly einen Schwenk aus ihrer Gedankenwelt vor. Ähnlich wie Dido zuvor, die mit ihrem Leben nur ein Mietverhältnis am Laufen hat, trällert Nelly von ihrer halt- und heimatlosen Seele, die frei wie ein Vöglein sich ständig nur für kurze Zeit niederlässt und dann wieder dahin ist. Aber Nelly wählt nicht den Depri-melancholischen Dido-Zugang zum Thema, sondern sieht’s ganz südländisch gelassen à la pfeif-drauf-Latella-Werbung.

Dass die Popsongs der 90er und 00er Jahre eine derartige Dichte an schon fast entwicklungspsychologischen Abhandlungen boten, dem war ich als Kind und Teenie nicht gewahr. Die Sinnsuche und Selbsterforschung mittelalterlicher Frauen der Moderne ist also nichts Neues und scheint sich in jeder Generation zu wiederholen. Der Zyklus des Lebens – aber wenigstens ist dies ein unblutiger.

Das goldene Kind, das aus Bronze war

Vielleicht hatte ich es bisher missverstanden; ein persönliches Symptom als eines einer gesamten westlichen Generation missinterpretiert. Das Gefühl, für mehr bestimmt zu sein, sich zu fragen, warum man nichts erreicht, obwohl einem doch alle Türen offen stünden und so viel Potential in einem schlummere. Ich dachte immer, dies sei auf das Internet als mundwässernde und neidfördernde Ausstellungsplattform zurückzuführen. Wo man sich auf Social Media Plattformen wie ein Scout auf die Suche nach dem idealen „Lebens-Model“ durch die teils sehr professionell inszenierten Portfolios aller möglichen Menschen und somit aller Möglichkeiten begibt und abwägt, welche Lebensentwürfe, Urlaubsziele, Fotospots oder Ähnliches für einen selbst passen könnten, immer den Ausgangsstatus des „Models“ miteinbeziehend und mit seinem eigenen vergleichend. Welch anderer Ort als das Internet hätte mich also auf eine alternative Fährte zur Herleitung des mutmaßlich Internet-induzierten Generationenunglücks unerfüllter Träume bringen können? Nämlich auf die, dass dieses in der Pubertät aufkeimende und nun in der Existenz als „fertiger“, ausstudierter Erwachsener immer mehr und vermehrt unkontolliert wuchernde Gefühl, auserwählt zu sein und doch eigentlich nicht zu wissen, wozu oder geschweige denn warum, schon in der Kindheit gesät worden sein könnte.

Mein Vater träumte immer davon, dass ich ein Tennis Star würde und er mein Manager. Bereits nach meiner ersten Tennisstunde, da ich mich anscheinend überdurchschnittlich geschickt – aber bei Weitem nicht phänomenal – angestellt hatte, erwähnte er dieses Ziel erstmalig und dann fast täglich. Als Kind konnte ich es nicht ganz einschätzen, ob es ernst gemeint war, oder nicht. Sein Gerede hatte aber sicher einen gewissen ernsten Kern, so wie mein Vater auch in Hoffnung auf das große Glück ernsthaft Lotto spielte. Immer, wenn ich mit ihm Tennis spielte, verhielt er sich wie mein Trainer und ärgerte sich merklich, wenn ich seine Inputs nicht gleich umsetzte. War ich vielleicht doch nicht so ein „Naturtalent“? Natürlich begann ich schnell, Tennis zu hassen und weigerte micht danach für Jahre, überhaupt wieder einen Schläger anzurühren. Auch das Wort „Vorzeigeschülerin“ hörte ich ständig, oder wie brav und gescheit ich nicht sei. Als ich nach 7 Jahren von ausschließlich „sehr guten“ Noten einmal einen „guten“ Erfolg nach Hause brachte, schämte ich mich und bekam auch nur zu hören, dass es nächstes Mal wieder ein „sehr gut“ werden sollte, weil ich das ja besser könne. Es stimmte zwar meistens, dass ich zu den Klassenbesten gehörte, oder Klassenbeste war, jedoch wollte ich das zuhause gar nicht erzählen, da sonst wieder darauf herumgeritten worden wäre und ich nicht das Gefühl hatte, dass es der Rede wert war, da ich kaum etwas dafür tat. Die Aussage, dass ich Teil der zukünftigen „geistigen Elite“ würde, war mir mehr als unangenehm. In meiner Freizeit zeichnete ich gerne und für ein Kind meines Alters auch ganz gut, wobei nicht außergewöhnlich. In diesem Zusammenhang hatte ich die Worte „große Künstlerin“ damals öfter gehört, bis ich eines Tages einfach zum Zeichnen aufhörte, da ich wie zuvor schon beim Tennis schnell das Spielerische vermisste und einen Erfolgsdruck verspürte.

YouTube’s Wege sind wie immer unergründlich: Als ich unlängst in meinen persönlichen Empfehlungen ein Interview mit dem laut Wikipedia Schriftsteller und Fernsehproduzenten, laut meiner Definition Philosophen Alain de Botton als potentiell interessant befand und anklickte, fand ich die von ihm behandelten Themen und insbesondere die Art, wie er sie mit seinem trockenen britischen Humor aufbereitete, sehr ansprechend. Einige Klicks und Clips weiter stieß ich dann auf den Videovorschlag hochgeladen von „The School of Life“, dessen Mitbegründer Herr de Botton war und ist und dessen Stimme mir über das „golden child syndrome“ berichtete (siehe eingebettetes Video unten). Es war beinahe wie Liebe auf den ersten Blick, nur halt eher Schmerz auf den ersten Klick. Die Schilderung des Syndroms kam mir aus autobiografischer Sicht sehr bekannt vor. Grob zusammengefasst geht es darum, dass nicht nur durch emotionale Vernachlässigung, sondern auch durch unangemessenes Lob und Hochstilisieren von Fähigkeiten und Potentialen eines Kindes dessen psychische Entwicklung Schaden nehmen kann. Wenn Kindern eine glorreiche, glänzende Zukunft vorausgesagt wird, ohne dass sie selbst das Gefühl haben, irgendetwas Besonderes zu tun oder zu sein, kann das im späteren Leben dazu führen, sich bei Erreichen von „durchschnittlichen“ Karriere- oder Lebenszielen als Verlierer zu fühlen. Oft jagen diese Kinder auch einem für sie vorausgewählten Ziel, welches von anderen für sie gesetzt wurde, nach, um ihre Anfeuerer nicht zu enttäuschen. Selbst wenn sie dieses Fremdziel erreichen, fühlen sie sich danach nicht glücklich, sondern meist unerfüllt und leer, da es nicht „ihr“ Ziel war und sie sich womöglich auch nie gefragt haben, was sie selbst denn wirklich für sich wollen und worin sie selbst ihr Potential sehen. Beim Ansehen des Clips sah ich auch einige Parallelen zum „Impostor syndrome“, bei welchem Betroffene sich als Betrüger wahrnehmen und in ständiger Angst leben, externe Ansprüche nicht erfüllen zu können. Sie befinden sich in ständiger Angst, dass „die Blase“ platzt. Denn sie nehmen wahr, dass das hochgelobte Fremdbild absolut nicht mit dem eigenen Selbstbild übereinstimmt, dass man eigentlich gar nicht so talentiert und perfekt ist, wie die anderen meinen und dies irgendwann ans Licht kommen wird. Emma Watson (aka „Hermine“ aus Harry Potter) ist laut eigenen Aussagen etwa so eine „Betrügerin“. Ich könnte mir vorstellen, dass auch sie mit ihrem exzellenten familiären und schulischen Hintergrund in ihrem Milieu den Aufwand für ihre Karriere als eher normal und durchschnittlich wahrgenommen hatte und ihren Erfolg dazu als überproportional empfand und dies zu ihrem „Beschwerdebild“ führte. Im Falle des „Imposter syndroms“ sind es aber auch Erwartungen und das Fremdbild von Menschen, die einem nicht wirklich kennen können. Beim „Golden Child Syndrom“ geschieht diese Überhöhung im Rahmen der Erziehung. Oft werden Talente im eigenen Kind gedeutet, die man selber gerne ausgelebt hätte, eigene Wünsche für die eigene Zukunft auf den Nachwuchs projiziert. Auch wenn es gut gemeint ist, wenn man dem Kind nur Mut machen möchte, so kann dies eigentlich nur passieren, wenn man sich keine Zeit nimmt, die Fähgikeiten und Interessen des eigenen Kindes tatsächlich zu hinterfragen, zu schauen, wann ein Lob und in welchem Ausmaß angebracht ist. Wenn man sein Kind also nur oberflächlich kennt und sich nicht mit ihm beschäftigt. Ist das im Grunde nicht auch eine Art von emotionaler Vernachlässigung, denn auch hier findet das Kind kein wirkliches Gehör und wird verkannt?

Als ich ein Kind war, hatte ich – etwa bei Fernsehübertragungen von Sportveranstaltungen und den darauffolgenden Siegerehrungen – teilweise Probleme, Gold und Bronze farblich auseinanderzuhalten. War es denn Bronze oder doch Gold mit einer rötlichen Patina? Vielleicht ist meinen Eltern derselbe Fehler unterlaufen, vielleicht schien ihnen ihr bronzenes Kind aus der Ferne, aus der sie es betrachteten, wirklich golden.

Arrogantes, ermüdetes Kind, gemütlich auf einem Säckchen Froot Loops sitzend, in seinen guten Schuhen auf den nächsten Regenguss wartend.

30: Drei-Sieg oder -Niederlage?

Was jetzt? Kommt da überhaupt noch was? Im Kindergarten hatte ich immer das Ziel der Volksschule, in der Volksschule immer das Ziel der Hauptschule (zumindest hieß sie damals so) oder des Gymnasiums und im Gymnasium das Ziel des Studiums vor meinen Augen; Etappen, die jeweils Grandioses versprachen und die Einlösung dessen dann immer aufs nächste „Level“ verschoben. Wie in jedem guten Computerspiel mit Suchtpotential, oder auch wie auch beim einarmigen Banditen im Casino. Der Jackpot wartet am Ende der nächsten Etappe. Als sich der Kobold mit dem Goldtopf (und mit Gold meine ich Sinn, Glück, Erfolg, Geld, Gratis-Öffi-Jahresticket, was auch immer – an diesem Punkt war ich schon lange nicht mehr wählerisch und hätte mich über jedes Zuckerl gefreut) auch nach dem Studium im Berufsleben nicht blicken ließ, schwante mir Böses: So wie das Christkind, der Osterhase und sich erwachsen verhaltende Eltern, sollte sich am Ende auch die Erzählung davon, dass Bemühungen belohnt werden, dass am Ende der Reise eine glorreiche Zukunft wartete als Illusion herausstellen?

Nun hatte ich auf Anraten der „Erwachsenen“ damals extra kein geistes- oder sozialwissenschaftliches Studium gewählt, um es später im Berufsleben mit der Arbeitssuche und dem Gehaltsthema einfacher zu haben, jahrelang wurde mir versichert, dass mich die Industrie mit meinem naturwissenschaftlichen Abschluss regelrecht umwerben würde und ich mit einem überdurchschnittlichen Einstiegsgehalt rechnen könne. Wir Studenten seien die zukünftige Elite des Landes. Und: Sobald ich meine Ausbildung abgeschlossen habe, liege es an mir und meiner Generation, die Zukunft aktiv mitzugestalten. Diese verführerisch angepriesene Lügen-Möhre, mit der mir in motivierender Absicht immer vor meiner Nase herumgewedelt wurde, wurde mit der Übergabe meines Abschlusszeugnisses und mit jeder danach eintrudelnden Job-Absage Stück für Stück vor meinen Augen restlos weggeknabbert. Bis ich eines Tages dastand, mit einem Job, der nicht viel mehr Geld einbrachte, als wenn ich etwa ohne Studium Regale im dm eingeräumt hätte (was ich damals immer alternativ zum Studium überlegt hatte), und in dem ich keinerlei Mitsprache- und Mitgestaltungsrecht hatte. Erst jetzt wagte ich mich zu fragen, ob ich Karotten überhaupt so gerne mochte. Sei’s d’rum, dachte ich mir. Jetzt bin ich hier, jetzt mach ich das beste daraus! Mit zwar schwindenden, aber trotzdem noch Optimismus machte ich mich weiter auf die Arbeitssuche und etwa 35 Bewerbungen und 5 Monate später klappte es dann auch, dass ich jemanden überzeugen konnte, dass ich in der Lage und gewillt bin, Aufträge nach einem exakt festgelegten Schema und mit fixen Vorgaben auszuführen. Da ich nie ein Mensch war, der jemals Autoritäten oder Abläufe hinterfragt hätte, kam ich auch gut zurecht und erledigte stets alle Aufgaben zur Zufriedenheit. Jedoch graute mir davor, die nächsten 45 Jahre so zu verbringen, in einem Umfeld, wo Kreativität und Freiheit keinen Platz haben. Offensichtlich trifft man nämlich bereits mit der Wahl eines naturwissenschaftlichen Studium die Entscheidung, jeglichen kreativen Regungen zu entsagen. Kreativ sein, so scheint es, muss man nämlich extra studieren, da gibt es eigene Lehrgänge dazu. Meine einzige Aufgabe war es, Aufträge abzuarbeiten und wie ein emotionsloser Taschenrechner zu funktionieren.

Als ich mir die Frage, welches Tier ich als mein Spirit-Animal ansehen würde, auch nach zweimaligem Arbeitsplatzwechsel spontan mit „Legehenne“ beantwortete, gestand ich mir offiziell ein, dass ich komplett desillusioniert und unzufrieden war. Bis zu einem gewissen Grad war es ja ok, eine Legehenne zu sein, nur die Haltungsbedingungen machten mir zu schaffen. Einerseits hätte ich gerne nur 1 Ei pro Tag gelegt bzw. einfach gerne selbst entschieden, wieviele Eier ich legen möchte und kann, da ich merkte, dass ich körperlich und mental auf Dauer den gewünschten Output weder erzielen konnte, noch wollte. Andererseits hätte ich manche meine Eier auch gerne selbst ausgebrütet. Viele waren für mehr als das klassische 5-Minuten-Ei bestimmt, wären formidable Hähne und Hennen geworden. Und was war der Preis? Mit 30 konnte ich mir nicht einmal alleine eine 2-Zimmer-Wohnung und die Fixkosten für mein Auto leisten, wenn ich nicht auf halbwegs auf hochqualitative Nahrungsmittel verzichten wollte. Kleidung oder sonstige Freizeitausgaben hatte ich ohnehin kaum. Das Studentenleben ging also munter weiter: Geteilte Wohnung, immer aufs Geld achten, allerdings nun ohne freier Zeiteinteilung. Und das, obwohl ich zu den sogenannten Privilegierten gehörte. Dazu immer die Geschichten meiner Eltern, ob ich mir nicht doch einmal eine Wohnung oder ein Haus kaufen möchte und dass es schön langsam Zeit für Kinder werde. Innerhalb einer Generation hat sich so viel geändert, außer die gesellschaftlich propagierten Ziele und die Erzählung, dass jeder alles erreichen kann. Was für ein enormer Druck, nicht zu „scheitern“, da dies offensichtlich nur auf das eigene Versagen zurückzuführen ist. In derlei gedankliches Fahrwasser geraten, fand ich es schwer, wieder hinauszufinden und bei jedem Versuch zog es mich auch immer wieder zurück, bestimmt auch, weil ich mich gar nicht wehrte. Es machte sich ein Gefühl der Trauer über die verstrichene Zeit, des Betrogen-Worden-Seins, der Verzweiflung breit. Mein ganzes Leben hatte ich bisher damit verbracht, einen fensterlosen Turm hinaufzusteigen, von dessen Aussichtsplattform auf der Spitze mir von verschiedensten Leuten eine atemberaubende Aussicht versprochen wurde (vergleichbar mit einer Bewertung auf tripadvisor mit ganzen 5 Sternen). Durch die mühsame und im wahrsten Sinne des Worte aussichtslose Reise wurde ich immer orientierungsloser und folgte einfach nur dem Handlauf der Treppe. Teilweise verwundert, dass – obwohl ich schon weit oben angelangt war – noch immer kein Lichtstrahl nach unten durchdrang, hatte ich die Reise hinauf dennoch stets fortgesetzt, bis ich plötzlich einfach anstand. Über mir befand sich nur die Decke, die Treppe hörte abrupt auf. Obwohl man sah, dass es einst eine Luke aufs Dach gegeben hatte, war diese schon vor einer Weile zuzementiert worden. Vielleicht hätte ich, bevor ich mich auf die Reise auf den Turm machte, mal nachschauen sollen, wann denn der letzte Eintrag bei tripadvisor datiert war… Diese Aussichtsplattform war vielleicht vor Jahren noch zugänglich gewesen, doch die Info war nicht mehr aktuell. Und im Nachhinein musste ich mir selbst auf den Kopf greifen, denn es war doch so offensichtlich: eine glorreiche Zukunft, was sollte das überhaupt anderes sein, als eine leere Worthülse? Glorreich, das Wort gab es doch abseits der Literatur gar nicht mehr, und das auch mit Grund, denn die zugehörige Bedeutung war derart rar geworden, dass auch die Bezeichnung ins Vokabular-Antiquariat unserer Gesellschaft aussortiert wurde.

Also: Was jetzt? Ich plädiere für die Aufklärung der Kinder und Jugendlichen darüber, wie die heutige Realität der Arbeitswelt tatsächlich aussieht, um Enttäuschungen vorzubeugen und um ihnen auch Anreize zu geben, vielleicht nicht die Sackgasse im Inneren des fensterlose Turms zu nehmen, denn es gibt sicherlich Alternativen, wie die zweifellos atemberaubende Plattform vielleicht doch etwa von außen erklommen werden kann. Was mich betrifft, habe ich keine Ahnung, ob ich die mühsam erstiegenen Treppen nicht einfach wieder runterlaufe und mich mit einem einfachen aber schönen Picknick am Fuße des Turmes begnüge.

© Martin Parr / Magnum Photos / Rocket Gallery

Die österreichische Quantitätszeitung

Wie kann das sein? Wie, frage ich mich, wenn doch das Journalismusstudium in Wien immer heillos überlaufen ist? Kann sich eine der in Österreich bekanntesten und von sich selbst als Qualitätsmedium sprechende Tageszeitung denn nicht die besseren Absolventen aussuchen? Oder sind das schon die besseren Absolventen, geschweige denn -innen? Muss heutzutage jeder Hanswurst-Beitrag mit ca. 2000 Worten, der keinerlei auch nur annähernd rechercheintensive Passagen enthält, sich auf keine tiefschürfenden Gedankengänge begibt und auch stilistisch eher matt und nicht glänzend daherkommt von drei (!) Journalisten (?) erstellt werden… Wenn es hier um Beschäftigungstherapie geht, dann ist es für mich ja noch ok, wobei ich als zahlender Zeitungskunde wohl andere Möglichkeiten wüsste, wie ich tatsächlich bedürftige Menschen sinnvoller mit meinem Abo-Beitrag unterstützen könnte. Und bevor ich etwas an die Zeitung spenden würde (siehe Bild unten), würde ich der Redaktion erst einmal raten, vielleicht bei eher unwichtigen und verzichtbaren Beiträgen nur einen Reporter zu beauftragen, um Ressourcen zu sparen, wenn das Endergebnis bei mehreren Beteiligten sowieso nicht perspektivenreicher ausfällt. Andererseits wundert es mich auch nicht wirklich. Möglicherweise haben Journalismus-Absolventen ja noch nie alleine etwas recherchiert und geschrieben und wären dem gar nicht mehr gewachsen. Denn auch auf der Uni und hier beispielsweise in der Forschung ist bei wissenschaftlichen Papers immer mehr der Trend zu Autorenschaftschaften mit einer Gruppenanzahl im zweistelligen Bereich zu beobachten. War es früher doch relativ verbreitet, alleine oder eventuell zu zweit ein Forschungspapier zu publizieren, erstreckt sich die Aufzählung aller Autoren in der heutigen Zeit oft über drei oder vier Zeilen, wobei vermutlich nur der Erstautor überhaupt Bescheid weiß, worum es in dem gesamten Paper geht. Dass ein Wissenschafter (alle) Analysen für seine Versuche selbst durchführt, ist vielerorts eine Rarität, so war es etwa auch in meiner damaligen Arbeitsgruppe. Für manche Forschungsfragen ist dies einleuchtend, sind die Analyseverfahren heute doch oft komplex und es benötigt einiges an Erfahrung und Know-How, um diese durchzuführen. Oft scheint es aber Publikationsstress, intellektuelles Unvermögen oder einfach Desinteresse bzw. nur sehr oberflächliches Interesse am Gebiet zu sein, dass sich auch und vielleicht sogar besonders junge Forscher nicht mehr die Mühe machen wollen, sich mit allen Aspekten und Berührungspunkten „ihres“ Themas auseinanderzusetzen. In Anbetracht der jährlich immer weiter steigenden Anzahl an Uni-Absolventen wird der „Markt“ teilweise überschwemmt, zumindest an Mittelmäßigkeit. Denn es scheint, als wäre die Devise: Viel hilft viel – Quantität vor Qualität. Und ich will mich hiervon gar nicht ausnehmen. Auch ich weiß von meinem Studium gerade so viel, wie ich zum Bestehen der Prüfungen benötigte, abzüglich dem über die Zeit immer weiter sinkenden Wissensverfallfaktor, der exponentiell fällt und asymptotisch gegen 0 strebt. Teilweise würde ich die Wissenshalbwertszeiten bei nur ca. 10 Minuten nach prüfungsbedingten Abruf anberaumen. Und ja, entlarvt, ich bin keine Mathematikerin und werfe nur mit Begriffen um mich, um mit meinen Worten zu blenden und hohen Intellekt im Vergleich zum gemeinen Durchschnittsösterreicher vorzutäuschen. Ein typisches Produkt unserer Universitäten also.

Gut, dass beim Standard wenigstens alle Virologen und Ärztinnen sind! Offen scheint beim Lesen so mancher Artikel zu bleiben, von wem die oft nur sporadisch inmitten eines Meeres an persönlicher Meinungen eingearbeitete Fakten verifiziert werden, wie es in diesem kleinen Donationsgesuch behauptet wird. Bitte um Ihre Spende, damit sich unsere österreichische Medienlandschaft wieder etwas mehr Qualitätsjournalisten leisten kann und nicht gezwungen ist, fehlende Expertise durch eine Horde an mit Plattitüden, Kindergarten-Psychologie und unangebrachter Arroganz um sich werfender Meinungsblogger, die vermutlich noch nie Kontakte zu Menschen außerhalb ihres Milieus hatten, zu kaschieren. Denn es besteht doch ein Funke Hoffnung, dass „Ausbau von Redaktion und Community“ nicht nur bedeutet, dass etwa mehr Personal zum Durchforsten unangemessener Forenbeiträge aufgewendet wird.

HorrorScope

Wer auf der Suche nach dem Sinn seines Lebens ist, der sucht oft vielerorts. Ich hatte nicht geplant, für meine Suche erstens den Boden zweitens der Tatsachen zu verlassen und mich mit Horoskopen zu beschäftigen, ich wusste bis vor Kurzem ja nicht einmal, dass es mehr als die Zeitschriften-Tageshoroskope gab, die vermutlich schon seit Anbeginn der Entwicklung von Textrobotern von ebensolchen zufällig generiert werden. Ein Update dieser Roboter wäre übrigens mal dringend nötig. Aja, und die Zuckersticks mit Sternzeichenbezug waren mir auch aus den Cafés dieser Welt bekannt. All das bezog sich immer nur auf das Sternzeichen, in welchen das Geburtsdatum hineinfiel. Ab und zu hörte ich Menschen munkeln, dass man aus den Geburtsdaten wohl auch einen Aszendenten herauslesen könne und dass dieser wohl äußerst wichtig, wenn nicht sogar wichtiger, als das Sternzeichen selbst, wäre. Da das Wort Aszendent aber kompliziert klang und die Bedeutung bzw. Bestimmung, welchen Aszendenten man hatte, einem nicht gleich mit zu Kaffee und Kuchen serviert wurden, hatte mich das nie interessiert. Zu aufwändig klang das. Nach Hexenritual bei Vollmond, wenn man den Aszendente bestimmen lassen wollte. Und sicher auch kostspielig, denn die meisten modernen Berufshexen verlangen für ihre Leistungen einen höheren Stundensatz als so mancher Installateurmeister. Kurzum: ich wusste nichts darüber und wollte es auch nicht.

Nun trug es sich aber zu, dass mir eine klatschfreudige Freundin bei einem Telefonat während des 2. Corona-Lockdowns erzählte, dass sie eine gar peinliche Entdeckung auf Instagram gemacht hatte. Um ehrlich zu sein: Sie hatte mir das bereits zuvor des öfteren erzählt, aber an diesem Tag interessierte es mich seltsamerweise. Es ging um das Profil einer Bekannten, die wir aus unserer Heimatstadt kannten, wir waren sogar zusammen in den Kindergarten gegangen. Ich mochte diese Bekannte immer sehr gerne, hatte aber nie viel mit ihr zu tun, da sie immer schon hipper und artsier war als ich. Zu Studienzeiten sah ich sie auch ab und zu bei WG-Parties gemeinsamer Bekannter, wo sie immer stockbetrunken war und sicher öfter Total-Blackouts hatte, dieser Zustand war quasi schon eine Konstante bei diesen Feiern. Wir fanden das damals alle recht witzig und sympathisch, retrospektiv betrachtet ging es ihr in dieser Zeit aber vermutlich beschissen. Jedenfalls war sie irgendwann einfach nicht mehr auf diesen Parties erschienen und man sah sie einfach nicht mehr. Wie mir die Freundin am Telefon (und auch das Instagram-Profil dieser Bekannten) mitteilte, war diese Bekannte, nicht lange nach ihrem sozialen Untertauchen, nach Berlin gezogen und hatte sich dort als Astrologin – also ihre eigene Tätigkeitsbeschreibung ist in der genauen Formulierung abweichend und länger und mit englischen Vokabeln, aber zum besseren allgemeinen Verständnis reicht dieser allseits bekannte deutsche Begriff meines Erachtens im Moment völlig aus – selbstständig gemacht. Ich klickte auf eines ihrer Astro-Videos von etwa 15 Minuten Länge. Es ging um irgendeine nicht allzu häufig vorkommende Art von Mondfinsternis, ich konnte dem Video nicht ganz folgen, da es einerseits oft schwierig ist, „nicht Natives“, die Englisch sprechen, aufgrund ihrer Eigenheiten die Aussprache betreffend zu verstehen, und zweitens verfügte ich nicht einmal über das astrologische Basiswissen und -vokabular, sodass ich dem Inhalt dieses Videos nicht einmal auf Deutsch hätte folgen können. Trotzdem schenkte ich dem Beitrag volle 15 Minuten meiner ungeteilten Aufmerksamkeit und spielte daneben nicht einmal Spider Solitaire oder löste mittelschwere Online Sudokus. Diese Bekannte hatte etwas Fesselndes. In einem blassrosafarbenen, luftigen Sommerkleid saß sie da, mit goldenen Kreolen an den Ohren herunterbaumelnd und dezentem Make-up, wie eine moderne Astro-Elfe. Sie war so mitreißend und von sich und ihrem Erzählten selbst überzeugt, ich musste einfach zuhören, obwohl – oder gerade weil – sie auch etwas lispelte und irgendetwas mit ihrer Oberlippe optisch nicht „normal“ war. Als hätte sie eine riesengroße festsitzende Zahnspange, durch welche sie die obere Lippe nur mit Müh‘ und Not drüberstülpen konnte, um ihren Mund zu schließen. Jedoch, da war keine. Doch gerade durch diesen Blickfang hing ich förmlich wie hypnotisiert an ihren Lippen. Der Fremdscham, der mir seitens meiner Freundin versprochen wurde, stellte sich nicht ein. Stattdessen klickte ich gleich auf den nächsten Videovorschlag. Was konnte es schaden, mehr über Planeten, Sternzeichen, Häuser oder Mondknoten zu erfahren? Schon mit 13 Jahren hatte mir jemand gesagt, dass ich ein spiritelles Medium sei, da die „Lebenslinien“ auf meiner linken Handfläche ein eindeutiges „M“ zeichneten. War ich meiner Berufung nun endlich auf der Spur?

Tags darauf führte mich meine erste morgendliche Google-Suchanfrage auf http://www.astro*beep*.com (da ich für eine Werbeschaltung dieser Seite ja keinen Cent sehe und sich die Betreiber der Seite ja womöglich auch dafür schämen, dass sie in diesem Beitrag vorkommen, sei der tatsächliche Name der Seite an dieser Stelle ausgeblendet). Hier ließ ich mir – selbstverständlich kostenlos – mein Geburtshoroskop berechnen. Meine genauen Geburtsdaten, also die minutengenaue Angabe meiner Geburt, fand ich zu meiner Überraschung in meiner Geburtsurkunde. Wer hätte gedacht, dass ich dieses verstaubte, schnöde Dokument doch nochmal für etwas sinnvolles brauchen würde? Als wäre es geradezu zur Ermittlung von Geburtshoroskopen ausgestellt worden. Ich hoffte inständig, dass die für die Eintragung des genauen Geburtszeitpunkts zuständige Person auch gewissenhaft gewesen war und tatsächlich die wahre Zeit eingetragen hatte und nicht, nachdem sie vergessen hatte, auf die Uhr zu schauen, schnell mal aufs Klo gegangen war, danach eine Kleinigkeit zu Mittag gegessen hatte, inklusive Nachspeise, danach in die Kaffeeküche gegangen war, um sich dort einen Espresso runterzudrücken, einen kurzen Blick in die am Ecktisch aufliegende Gratis-Zeitung geworfen hatte und ihr beim Blick ins Tageshoroskop ein Schreckensblitz durch den Körper gefahren war, als ihr plötzlich einfiel, dass sie die Geburtszeit nicht notiert hatte und sie folglich schnell nochmal aus dem Zimmer geeilt war, um dies nachzutragen und in Ermangelung der Erinnerung an die tatsächliche Zeit einfach irgendwas eingetragen hatte, so wie ich es in dieser Position sicher ab und zu tun würde. Jedenfalls gab es damals, zur Zeit meiner Entbindung, wenigstens noch keine Smartphones und permanente Konzentrationsableiter wie whatsapp, facebook, twitter oder instagram. Mein Vertrauen in die Korrektheit der Daten war also doch sehr hoch und ich begab mich also auf die Suche nach meinem Selbst.

Nach stundenlangem Zusammengoogeln der Bedeutungen „meiner“ Planetenkonstellationen in den Sternzeichen und Häusern saß ich nun endlich vor meinem Geburtshoroskop, von welchem ich mir Aufschluss über mein Schicksal erwartete. Zu Beginn war alles sehr vielversprechend. Lustiges Geplänkel zwischen mir und meinem Horosköpchen, welches mir ständig schmeichelte, dass ich eine grandiose Zukunft vor mir hätte. Ein paar Kleinigkeiten gab es zwar noch, an denen ich arbeiten musste, ein paar Stolpersteinchen, die ich achtsam erspähen und umgehen müsste, aber ansonsten konnte ich mich ensptannt zurücklehnen und die Zukunft geschehen lassen. Astrologie war toll! Ich fand so viele Dinge, die so gut zutrafen. Und wenn ich fand, dass sie nicht zutrafen, so war es doch eine wunderbare Anregung, sich einmal unter anderen Gesichtspunkten als den immergleichen mit allen möglichen Aspekten seiner Persönlichkeit auseinanderzusetzen. Ich war davon überzeugt, dass jeder sich zumindest einmal im Leben intensiv mit seinem Geburtshoroskop beschäftigen sollte. Die Idee, vielleicht sogar selbst Astrologin zu werden, breitete sich immer mehr in meinem Hirn aus. Quietschfidel scrollte ich also bei einer weiteren Astrologie-Homepage weiter nach unten und landete bei der sogenannten Gradastrologie, einer Strömung innerhalb der Astrologie, bei der jedem Grad, in dem die Planeten in den jeweiligen Sternzeichen standen, ein spezielles Schicksal zugeschrieben wurde. Dort kam mir eine Interpretation des 16. Grads des Zwilling-Zeichens, in welchem mein Mond stand, unter und in der es hieß, dass ich in einem von einem Alkolenker verschuldeten Unfall, oder einer Bombenexplosion verwickelt sein und meiner Familie dadurch große Sorgen bereiten würde. Nicht gerade das, was man über seine Zukunft hören möchte, wenn man selbst eigentlich viel positiver darüber gedacht hätte. Das abergläubische Medium in mir wollte sich zum Selbstschutz zwar vormachen, das derlei fatalistische Deutungen nun wirklich nur erfunden waren und dies als Humbug abtun, konnte sich aber nicht vollends von diesem Vorhaben überzeugen, sodass ich dann doch auch noch einige Tage danach darüber nachdachte. Ich hatte schon immer extreme Angst vor Unfällen und misstraute jedem auf der Straße. Natürlich, jeder hat Angst vor Unfällen und jeder denkt, dass andere unfähig sind, aber schon als Kind konnte ich nicht in ein Auto steigen, ohne die gesamte Fahrt über dauernd daran zu denken, dass ein unachtsamer oder alkoholisierter Lenker entgegenkommen und von der Fahrbahn abkommen könnte. Das betraf kurze 6 Minuten Autofahrten zum Waldrand, wo wir zum Heidelbeerenpflücken hinfuhren, genauso, wie Fahrten nach Italien, bei denen meine Eltern die ganze Nacht durchfuhren und ich komplett verkrampft keine einzige Sekunde meine Augen schließen konnte. Noch heute habe ich keine ruhige Minute in einem Auto, schon gar nicht als Mit- oder Beifahrer. Ob das normal ist, oder eine schicksalhafte Vorahnung, das kann ich nicht beurteilen. Auch lebe ich in ständiger Angst vor der Gastherme, welche mein tägliches Warmwasser für mich aufbereitet. Jedes Mal, wenn ich den Wasserhahn in Richtung der roten Markierung drehe und ich das Tick-Tick-Ticken der Therme höre bevor die Flamme gezündet wird, erwarte ich das finale Bum. Das Haus, in dem ich wohne, ist uralt, zumindest die Wasserleitungen haben öfter mal Lecks, die Gastherme wurde schon seit Jahren nicht mehr gewartet. Warte ich auf eine selbsterfüllende Prophezeiung? Meine innerliche Flamme für die Astrologie war jedenfalls, noch schneller als sie aufgeflackert war, urplötzlich erloschen.

Mein Geburtshoroskop – ein Schritt zur Selbsterkenntnis?

Ich bin ein krankes Arschloch

In meinem tiefsten Inneren wusste ich es schon immer, denn ich habe mich schon in frühster Kindheit tagelang in meinem Zimmer und mir, in meinem personal space also, zurückgezogen und mich und meine Gefühlsregungen stets aufmerksam und interessiert beobachtet. Seit ich denken kann brodelt in mir ein Süppchen aus Neid, Hinterhalt und einer Prise Arroganz, durchgehend auf knausriger Sparflamme, in massig Tränenflüssigkeit aus dem Mitleid mit mir selbst und mit Deckel drauf, damit auch nichts verdampft und nichts anbrennt und auch niemand vom Odeur meines Eintopfes einerseits – so die offizielle Version – gestört wird, aber andererseits – der wahre Grund – auch nicht davon „Wind bekommt“, denn das würde mein Selbstbild, von welchem ich auch möchte, dass es andere von mir haben, ordentlich zum Bröckeln bringen. Und außerdem ist das mein Süppchen, meins! Mit der Verteidigung meines geistigen Eigentums halte ich es ganz amerikanisch; da fällt schnell mal ein Schuss, wenn jemand das Areal meines geistigen Eigentums betritt, und selbstverständlich auch Warnschüsse, wenn jemand zu nahe und zu neugierig um meinen Zaun herumscharwenzelt. Andererseits zeige ich mich aber auch – wie etwa hier – sehr gastfreundlich, ja, exhibitionistisch absolut Fremden gegenüber. In gewisser Weise ist dieser Blog ja, wie bei so vielen „Bloggern“, eine ideale Selbsttherapieplattform. Abgesehen von den Kosten für die Domain und wordpress eine sehr preiswerte Alternative zum klassischen Gesprächstherapeuten, bei dem man sich – hat man erst mal ein halbes Jahr auf einen Ersttermin gewartet – jeden weiteren Termin mühevoll zeitlich koordinieren muss, was einem dann die Möglichkeit zur Spontanität raubt, jeden Tag so zu gestalten, wie man es selber gerne möchte. Ich betone hier Möglichkeit, da die wenigsten Menschen ihre Freiheit dahingehend in Anspruch nehmen und sowieso immer dasselbe tun und sich gleichzeitig beschweren, dass sie nicht dazu kommen, das zu tun, was sie wollen. Been there, still am. Neben dem zeitlichen Korsett, in welches einen die Gesprächstherapie zwängt, ist das für Selbstdarsteller natürlich wenig lohnend, wenn Arbeit – und sei sie auch an einem selbst für einen selbst verrichtet – unerkannt bleibt und keine vorzeigbaren Resultate bringt. (An dieser Stelle: Bap’n halten an die friedvollen Haters, die an dieser Stelle apostolisch meinen, dass doch besonders die Arbeit an und mit sich selbst spürbare, ja gar lebenstransformierende Resultate für sich und die Umwelt mit sich bringt. Das interessiert keinen und das will niemand hören, das weiß ja jeder selbst.) Spannender ist es alle Male, diesen „Selbstreinigungsprozess“ – oder Prozess zur Selbstheilung oder Selbsterkennung oder weiß der Teufel, wie man es aus sozialmarketingtechnischer Sicht aktuell am besten nennt – nach außen zu kehren. Mein Verlangen danach, an mir selbst herumzuexperimentieren und meine Faszination für die dunklen, versteckten Wesenszüge in mir und im Menschen generell treibt mich an, meine digitalen, schriftlichen Therapietermine – wenn auch mangels Selbstdisziplin eher schleppend, aber immerhin sporadisch – wahrzunehmen und dabei auch so ehrlich, wie ich es in diesem Moment des Niederschreibens verkraften kann, zu sein. Es ist eine Art Katastrophengeilheit; eine weitere, wenn nicht sogar DIE wahre Pandemie unserer Zeit. Vor allem die Möglichkeit, wie der Phönix aus der Asche wiederauferstehen zu können, bietet einen ganz besonderen Reiz. Der Mensch misst seinen Erfolg nicht an absoluten Werten, sondern immer relativ zu anderen, zum Ausgangswert, oder zum Tiefpunkt. Der Mensch ist für Drama, für reales Theater gemacht. Aber ein derartiges Umarmen dystopischer Zukunftsvisionen scheint mir außerdem als Folge der fehlenden Auseinandersetzung und Verdrängung der Jung’schen Schatten in unserer Gesellschaft. Ich plädiere ja nicht für ein schamloses Ausleben dieser Seite, aber der mangelnde Raum, sich überhaupt damit auseinanderzusetzen zu können, kann ja nur krank machen. Nicht mal im Internet kann man mehr sein Arschloch raushängen lassen, geschweige denn abbilden lassen, da dies sofort zensiert würde. Als wäre böses Gedankengut wie Saatgut, genauer gesagt wie Flugsamen, die sich übers Internet wie eine Plage ausbreiten. Dieses Gedankenmodell ist zu passiv. Wo der Flugsame hingetragen wird, dort wird ohne weiteres Zutun das Verderben sprießen. Wenn es so einfach geht und Menschen ihren vorhandenen Gedankenrasen so schnell von Unkraut überwuchern lassen, dann ist ihr Rasen wohl ohnehin nicht sehr robust und gesund und außerdem müssen Nährboden und Klima passen. Da gefällt mir die Idee vom bösen Gen schon besser… Jedenfalls kann man psychisch gesunde Menschen meines Erachtens durchaus auch böse/schlechte Gedanken und Bilder zumuten. Ich behaupte sogar, dass dies essentiell für den geistigen Entwicklungsprozess ist. Deshalb sollten sich Kinder auch ab und zu mal eine Tierdoku etwa über Raubkatzen ansehen. Und nicht immer nur Tom und Jerry. Tom und Jerry macht mich beispielsweise immer RASEND, ich konnte und kann es mir bis heute nicht ansehen. Ja, klar, Tom möchte Jerry – naturgemäß – brutal ausweiden und es ist verständlich, dass Jerry sich wehren möchte und Tom nicht wohlgesonnen ist, aber diese selbstgefällige, arrogante und spöttische Art des „guten“ Jerry’s macht es mir unmöglich, mich auf die Seite des Davids im Kampf gegen Goliath zu schlagen und ihm ein langes, glückliches Leben zu wünschen. Ich weiß nicht, ob ich so düster denke, weil ich von meiner Großmutter immer Struwwelpeter, Suppenkaspar und Co. aufgetischt bekommen habe und dies für mich der Maßstab war, an welchen sich andere Märchen und Geschichten zu orientieren hatten, oder ob es tatsächlich eine mir innewohnende Sehnsucht nach Geschichten mit bösem Ende gibt. Ich kann auch nicht sagen, ob es mir geschadet hat. Kurzzeitig verstört und geschreckt haben mich die Erzählungen auf jeden Fall und auch die Illustrationen haben sich eingebrannt, trotzdem, oder deswegen, denke ich, dass ich viel Nützliches über die Psychologie des Menschen gelernt habe. Auch als Kind hatte ich schon immer Vorbehalte gegen die vermeintlich „guten“ Helden und große Sympathien für Bösewichte in Geschichten. Für die Hexe bei Hänsel und Gretel etwa, der ich den Happen Hänsel schon gegönnt hätte, oder Hatschi Bratschi oder die Hexe Kniesebein, die ja auch von etwas leben müssen. Dieses ständige Gewinnen der „guten“ Seite, obwohl sie sich oft selbst nicht korrekt verhalten, war mir immer zu weißgewaschen. Ist das Böse denn tatsächlich immer so einfach zu besiegen? Ist das „Gute“ immer stärker? Abgesehen davon, dass Hatschi Bratschi Luftballon etwa heutzutage gar nicht mehr vorgelesen werden sollte, da es ja rassistisch ist, ist eine klare Entwicklung in Richtung Schonung der Gesellschaft vor schlechten Enden und enttäuschter Hoffnungen seitens Leserschaft, die doch noch eine Wandlung der Hauptcharaktere herbeigesehnt hatten, wie sie etwa noch bei Hoffmann alle Hoffnung der Leserschaft zerstörend waren. Der Leser sieht die Hauptfiguren der Geschichten ja direkt ihren Abgründen zulaufen, es ist offensichtlich, dass das zu Tage gelegte Verhalten ins Verderben führen wird. Doch das Schicksal scheint nicht nur unaufhaltsam, es ist es auch. Und dies ist auch die Lehre, die man öfter als nicht aus dem Leben zieht. Vor allem als „Zuseher“ wird man oft enttäuscht, dass ein Mensch seinen Verhaltensmustern nicht entfliehen kann bzw. es oft auch gar nicht zu wollen scheint. Dass etwa Drogenabhängige ihre Süchte nicht abhängen. Das sind wahre Suppen-Kaspar-Schicksale. Und ich finde es nicht schlecht, dass man darüber erfährt. Dass es ohne Einsatz kein Happy End geben wird; dass es nicht selbstverständlich ist, dass man seine inneren Dämonen erstens: erkennt, zweitens: konfrontiert und drittens: zähmt. Aber warum bin ich jetzt ein Arschloch? Trage ich das Arschloch-Gen in mir? Ursprünglich wollte ich ja über etwas ganz anderes schreiben, woraus hervorgekommen wäre, inwiefern ich das gemeint habe, aber ich bin gedanklich und schrifltich abgeschweift. Und jetzt habe ich gerade keine Lust mehr dazu.

Obwohl die Andersen-Märchen gut ausgehen, sind sie natürlich trotzdem toll!
Screenshot nach Beitragsveröffentlichung

Highway to Hell-lene

Hier war ich also, hinterm Steuer meines Autos, mit zwei fremden Riesenkatzen, eine davon hyperventilierend und den extrem stark tränenden Äuglein nach zu urteilen möglicherweise sogar weinend in einer Transportbox am Beifahrersitz, und die zweite herzzerreißend miauend mit weit aufgerissenen Augen in einer Transporttasche zu Füßen des Beifahrersitzes. Und noch eineinhalb Stunden Fahrzeit vor uns. Obwohl es mir Leid tat, dass ich mich nicht den beiden zuwenden konnte, um sie zu beruhigen, da ich mich auf den Verkehr konzentrieren musste, war ich bereits nach 15 Minuten Autofahrt doch froh darüber gewesen, nicht – wie ursprünglich kurz angedacht – den Zug genommen zu haben. Ich hatte mir das in Gedanken recht romantisch ausgemalt: Meine Mutter hätte uns am späteren Nachmittag zum Bahnhof gefahren. Im Rucksack hätte ich meine eigenes Gepäck für den Kurzaufenthalt bei Meinen Eltern gehabt und in der rechten Hand hätte ich die türkise Transportbox, die ich von einer lieben Nachbarin geliehen hatte und in der sich die beiden Katzen, die ganz in Yin und Yang Manier ineinander eingekuschelt, zwar etwas ängstlich, aber einander gegenseitig Trost spendend, befanden. Ich hätte mich mit meiner freien linken Hand fröhlich winkend von meiner Mutter verabschiedet, sie hätte den Katzen und mir ebenfalls noch zugewunken und dann wären wir auch schon in den Zug gestiegen, wo wir einen Viererplatz nur für uns gehabt hätten. Die Fahrt wäre recht ruhig verlaufen und wenn doch eines der Kätzchen einmal sanft ein verängstigtes Miau hervorgestoßen hätte, hätte ich meinen Lyrikband kurz zur Seite gelegt, mich zu ihr zur Transportbox hinübergebeugt und sie mit einem liebevollen Blick durchs Gitter und einem sanften „Alles gut, Puppi!“ sofort beruhigt. Dann hätte ich mich wieder aufgesetzt, mit einem warmen Lächeln das freundliche und verständnisvolle Zunicken der mir schräg gegenübersitzenden älteren Dame erwidert und meinen Blick dann wieder durch das Fenster in die Ferne gleiten lassen, wo sich der Himmel am Horizont zuerst zart orange und dann immer kräftiger rosa gefärbt hätte. Die Realität spielte aber gerade in meinem Privat-PKW. Und darüber war ich gerade sehr froh, denn leicht hätte dieses utopisches Szenario – und die Wahrscheinlichkeit hierfür schätzte ich nun nach 15 minütiger Autofahrt deutlich höher ein – in einen Horrortrip umschlagen können: Zuerst einmal wären für den Transport der beiden monströsen Katzenexemplare ja schon mal zwei Transporteinheiten nötig gewesen, was es mir erschwert hätte, meiner Mutter zum Abschied zu winken und den Knopf zum Öffnen der Zugtüre zu betätigen, ohne eine der Boxen abzustellen und mir dabei möglicherweise einen Bruch zu heben, da die Viecher nicht nur massiv groß, sondern auch dementsprechend gewichtig sind. Dann wäre ich mit der riesigen Katze in der Katzenbox links und der noch riesigeren Katze in der Katzentasche rechts auf der Suche nach Sitzplätzen für quasi 3 Personen durch die schmalen Gänge der Waggons geschlurft, wobei mir – Corona sei Dank – dann doch im letzten Wagen noch ein freier Vierersitzplatz ins Auge gesprungen wäre, so ehrlich muss man in seiner dystopischen Einschätzung schon sein. Zumindest in der Regionalbahn zwischen Freistadt und Linz. Ich hätte einen Wollpulli angehabt und angesichts der körperlichen Strapazen hätte ich schon im ersten Waggon zu schwitzen begonnen und hätte meinen eigenen buttrigen Schweiß schon selbst gerochen. Während ich darüber nachgedacht hätte, hätte es auf einmal einen lauten Knack gemacht. Der Boden der linken Transportbox wäre durchgebrochen, durch den Riss wäre Urin getröpfelt, deren sich die riesige Katze vor Angst entledigt hätte und das alles untermalt mit ununterbrochenem hysterischen Miauen in Dolby Surround Sound, sodass ich spätestens in Lasberg des Zuges verwiesen worden wäre, wenn nicht irgendein Mitreisender zuvor die Notbremse betätigt hätte. Danke, da fuhr ich doch lieber mit dem Auto. Kurz war meine Anspannung verflogen, aber dieser beruhigte Zustand hielt nicht allzu lange an. Eine neue Miauz-Runde wurde angestimmt und der Langhaarige begann wieder zu hyperventilieren. Ich versuchte, ihm meinen rechten Finger zur Beruhigung durch das Sichtgitter zu stecken und stimmte „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ an. Weihnachtslieder strömten immer eine gewisse Geborgenheit aus, ich hoffte, dass die Katzen das genauso empfanden, auch wenn die Jahreszeit unüblich für derlei Tunes war. Es war immerhin noch Spätsommer. Plötzlich kam mir ein Gedanke: Was, wenn der Langzottel-Kater gar nicht aus Panik hyperventilierte, sondern wegen extremen Durstes hechelte, um seinen Körper abzukühlen?! Da ich selbst eher karge Körperbehaarung aufwies, wenn man‘s auf meine Gesamtkörperoberfläche hochrechnete, konnte ich das nicht beurteilen. Mir war warm, aber nicht heiß. Aber ich hatte aber auch keinen fetten Pelz übergezogen. Beflügelt von diesem Hoffnungsschimmer, die Situation könnte sich in wenigen Minuten in Nichts auflösen, aktivierte ich die Klimaanlage. Intensiviertes, panisches Miauen. Aja, da war ja was. Das Tosen des Gebläses erinnerte mich daran, dass ich die Klimaanlage eigentlich nie wieder einschalten wollte, weil der Lärmpegel unerträglich war. Und auf niedrigster Stufe würde es vermutlich eine halbe Stunde dauern, bis eine Abkühlung der Innentemperatur zu bemerken wäre. Bis dahin konnte die Katze schon TOT sein!!! Ich lies meinem Auto also die Fensterscheiben hinunterkurbeln, die Geräuschkulisse wuchs ins Unerträgliche an. Die Autobahn war nicht der richtige Ort, um mit meinem klapprigen Seat mit heruntergelassenen Fensterscheiben entspannt herumzucruisen. Lärmpegelmäßig fühlte es sich an, als befänden wir uns in der Mitte eines Tornados. Also selbstverständlich nicht im Auge, sondern inmitten der turbulenten Wirbelzone. Die Katzen empfanden das genauso und zeigten dementsprechende Reaktionen: Riesige Pupillen im Rahmen weit aufgerissener Augen, weiter intensiviertes Hyperventilieren/Hecheln und verzweifeltes Scharren an den Wänden der Boxen. Das Fenster musste augenblicklich geschlossen werden. Die einzige Option, die nun noch blieb, um ein eventuelles Verdursten der Hechel-Katze zu verhindern, war, so schnell als nur möglich zu halten. Nächster Rastplatz in zwei Kilometern. Ich umschloss das Lenkrad fester und setzte mich kerzengerade ans vordere Ende des Sitzes. Als wäre die Lehne frisch gestrichen. Das tat ich immer, wenn ich gestresst war. Endlich, die Ausfahrt. Gestoppt, Zündschlüssel umgedreht, Handbremse angezogen, abgeschnallt und schon kramte ich in meiner Tasche herum. Irgendwo musste eine Trinkflasche mit abgestandenem Wasser vom Vortag sein. Und im Kofferraum befand sich eine hellbraune Futterschüssel zwischen den beiden Katzenklos, eines mit und eines ohne Haube aka Dach, alles Zeug von der Vorbesitzerin. Wie MacGyver kam ich mir vor, als ich die beiden Komponenten – Wasser und Futterschüssel – zusammenführte. Würde mein genialer Plan aufgehen? Ich setzte mich zurück auf den Fahrersitz, versicherte mich nochmal, dass alle Türen wieder verschlossen waren und öffnete vorsichtig das Gittertürchen zum weinenden Flauschbausch-Kätzchen. Ich hielt ihm die Wasserschüssel vor die Schnauze, bespritzte es mit etwas Wasser, damit ich auch sicher sein konnte, dass es gemerkt hatte, was das für ein Zeug war, doch es trank nicht. Es wollte nur raus, raus aus dem Käfig. Vorsichtig, aber bestimmt drängte ich die Katze wieder zurück. Kein Durst also. Nachdem ich auch der Gigasize-Katze einen Schluck angeboten hatte, den auch diese verwehrte, setzte ich unsere Fahrt und der Fluffige sein panisches Hyperventilieren wieder fort. Eine Weile fuhren wir so in unserem Elend dahin. Bis sich plötzlich die Katzentransporttasche wild bewegte, ja, schon fast herumzuhüpfen begann. Ich versuchte es mit „Driving Home for Christmas“, doch diese Mitfahrgelegenheit kam offensichtlich schon zu spät: ein schwarzes Schnäuzchen und ein Ohr lugten schon hervor. Die Tasche war nur mittels Reißverschluss und am Ende, zum Absichern des Reißverschlusses, mit einem Klettverschluss zu schließen. Der Riesen-Kater hatte sich mithilfe seines Dickschädels ins Freie kämpfen können. Ich hätte die Tasche nochmal schließen können, jedoch hätte ich dann für mindestens 2 Sekunden den Blick auf die Straße verloren, deshalb entschied ich mich, der XXL-Katze freien Lauf zu lassen. Hoffentlich würde sie nicht durchdrehen und panisch vor meinem Gesicht, oder unten bei den Pedalen herumlaufen. Das Miauen ihrerseits erstummte. Neugierig kroch sie aus dem Fußraum des Beifahrersitzes hervor. Der flaumige Kater tobte und wütete mit seinen Pranken an der Gittertür. Ich beschloss, ihn auch frei zu lassen. Notfalls müsste ich sofort auf dem Pannenstreifen halten und versuchen, die Viecher wieder einzufangen. Und hoffen, dass sie nicht, wenn ich aus- oder einstiege, aus dem Auto sprängen. Beide hatten sich nun aus ihren Gefängnissen begeben und waren völlig verstummt. Neugierig und mit großen Augen musterten sie das Innenleben meines Autos, die vorbeischnellenden Autos und mich. Sie begannen, vorsichtig das gesamte Auto – Rückbank, Fahrerschoß, Kofferraumdeckelpodest – zu erkunden und wandten sich für Rückfragen manchmal an mich. Weder uns überholende Autos, noch hinter uns herfahrende Autos bzw. deren Fahrer schienen zu bemerken, dass hier freilaufende Katzen an Bord waren. Auch nicht, als die beiden sich wie die klassischen nickenden Hunde, die man als Kind immer bei Hut-Autofahrern hinter der Rückscheibe sitzen sah, positionierten. Ab und zu schob der Wuschelige noch Panik, da die anderen Autos so schnell und laut vorbeirasten, aber es war ihm sichtlich wohler, dass sich sein Käfig nun vergrößert hatte und rundherum Fenster hatte. So verbrachten wir die restliche Autofahrt und bauten langsam Vertrauen auf – man bedenke, wir kannten uns ja auch noch gar nicht. Es war eine Blindkidnapping-Aktion. Am Ziel angekommen wartete, nach der am Ende dann sehr idyllischen und harmonischen Autofahrt, eine letzte, große Herausforderung. Die Katzen waren nun frei und ich musste erstens aussteigen, ohne eine Katze flüchtig werden zu lassen, und zweitens beide Katzen wieder jeweils in ihre Box reinquetschen. Seltsamerweise ließen die beiden nun alles mit sich machen, ich hatte sogar die Autotüre offen und sie versuchten nicht, zu fliehen. Und da dieser Text allmählich in die Langweiligkeit abdriftet und schon fast zu lange für einen Blog-Eintrag wird, möchte ich hier enden. Das war der erinnerungswürdige Tag, an dem das Schicksal der Katzen besiegelt wurde und der Tag, an dem ich das Stockholm-Syndrom in der Praxis erleben durfte!

Das Leben mit Kot-zen

Gespräche über gerissene Dämme, angekackte Windeln und die gesunde Kindergartenjause hielten seit etwa drei Jahren auch vermehrt in meinem Freundinnen- und Bekanntenkreis Einzug. Ja, und nun gab es auch bei mir endlich über Zuwachs zu berichten: Ich hatte mich zur Adoption entschlossen. Und zwar sollte es nicht ein einzelnes, sondern gleich zwei Kätzchen werden. Da ich ihnen mit der ebenerdigen Stadtwohnung mit Zugang zu einem kleinen Gemeinschaftsgarten keinen klassischen Freigang ermöglichen konnte, hatte ich mich gegen frische Babykätzchen und für bereits 3-jährige, aufgrund einer Katzenhaarallergie der Erstbesitzerin und wiederum einer Katzenhaarallergie der Folgebesitzerin weggegebene Wohnungskatzen, deren Leben schon ein bisschen verkackt waren und sich bei mir nur noch zum Besseren wenden konnten, entschieden. Da es sich, wie gesagt, um Gebrauchtkatzen, also Third-Hand-Katzen, beziehungsweise Re- und Up-Cycling-Katzen handelte, kamen sie bereits etwas verkorkst bei mir an. Eine schwarz mit einem kleinen weißen Lätzchen vorne an der Brust, normalhaarig (also kurzhaarig), mit leicht krächzender Baritonstimme, einem Knick an der Schwanzspitze und sich leicht abzeichnenden Geheimratsecken. Die andere braun-schwarz getigert, langhaarig, mit wunderschönen grünen Saphir-Augen und einem zarten Sopranstimmchen. Die Haare, die Luzifer an den Schläfen fehlten, sprossen bei O’Melli aus lauter Überfluss schon bei den Ohren und zwischen den Zehchen heraus. Beide waren überdimensionierte, kastrierte Männchen, oder – wie man vielleicht heute politisch korrekterweise sagen würde – Transgender-Katzen. In meiner Kindheit hatten wir zuhause – nach der typischen „Einstiegsdroge“ Hamster – zuerst eine, dann 2, dann 3, dann 4 und zu Höchstzeiten – mit den kleinen Kätzchen, die sich durch die Haltung weiblicher Katzen ergaben, mitgezählt – bis zu 10 Katzen gehabt. Es war für mich also nur eine Frage der Zeit bzw. eine Frage der Wohnsituation gewesen, bis ich meiner Berufung als Cat Lady endlich nachkommen konnte.

Bereits der erste Tag mit den Katzen daheim startete wunderbar. Sie waren am Abend zuvor mit mir zu Bett gegangen und als ich meine Augen des Morgens aufschlug, saßen sie beide Seite an Seite in einem 30 cm-Lineal Abstand vor meinem Gesicht. Wie zwei Birnen mit Augen, die mich mit erwartungsvollem Blick anschauten. Ich suchte meine Socken, derer ich mich unter der Bettdecke vorm Einschlafen entledigt hatte, zog sie über und machte mich auch schon auf den Weg zur Futterecke, 2 x 4 Pfötchen mir in meinem unmittelbaren Windschatten hinterhertapsend. Voller Freude darüber, den Katzen nun ein köstliches ready-to-eat-Frühstück aus dem Plastikbeutelchen kredenzen zu können, stieß ich die Tür zur Küche auf, hinter der sich auch schon der Tatort einer vergangenen Stunde offenbarte. Eine 1 m lange braune Schleifspur, teilweise mit anhaftenden, größeren Materialbröckelchen, zweispurig und ca. 2 cm breit zog sich vom westlichen Ausgang der Katzentoilette, die unter dem verwahrlosten und nie benutztem Esstisch an der Küchenwand platziert war, bis zur Durchgangstüre ins Wohnzimmer. Hier verlor sich die Spur noch immer nicht, sondern zeichnete einen U-Turn wieder zurück zur Katzentoilette, vor der sie sich dann allmählich verlief und verblasste. Da die Beseitigung von Kacke am Küchenboden vor ziemlich allem Vorrang hatte, machte ich mich gleich an die Arbeit. Nicht mehr ganz frisch war die Spur bereits angetrocknet und nur durch Krafteinsatz und schrubbenden Bewegungen zu beseitigen.

Wochen später sollte ich früh am Morgen trotz unvollendeter Detektivausbildung wieder eine Spur entdecken. Dieses Mal musste ich das Bett aber noch nicht einmal verlassen, als mein Blick auf der Suche nach meinen zwei kleinen Waschbärchen, wie ich die Katzen auch liebevoll nannte, weil sie gerne im Müll herumwühlten und einer der beiden aufgrund seiner langen Haare, dem buschigen, schwarzgestreiften Schwanz, dem spitzen Schnäutzchen und den stets ein bisschen hervorblitzenden Eckzähnchen tatsächlich wie ein Waschbär aussah, am Fußende hängen blieb, wo mir sogleich ein Klecks in sanftem Braunton auf dem elfenbeinfarbenen Leintuch ins Auge fiel. Das zugehörige abgestreifte Kacknugget sollte ich 2 Tage später komplett ausgetrocknet unter der gegenüberliegenden weißen Kommode finden. Es musste wohl bei der Abstreifaktion vom Bett gefallen und dorthin gekugelt sein.

Um beim Thema unordnungsgemäßes Abkoten zu bleiben: Der allgemeine Hausverstand hatte mir schon des öfteren bewiesen, dass es einige objektive Grunderkenntnisse gab. Darunter etwa, dass, wenn es nach Scheiße stank, auch irgendwo Scheiße war. Zog der Langhaarige beim Vorbeigehen also einen Fäkalienodeur hinter sich her, so war dies bisher stets ein untrügerischer Indikator dafür gewesen, dass hinten am Arsch wieder etwas Kot an den Haaren anhaftend herumgebaumelt war. Hier galt es immer schnell zu handeln, denn wenn sein Hintern auf irgendeinem Polstermöbel herniederkam, so hinterließ dies bleibende Spuren. So geschehen am Morgen des 21. Novembers 2020, an dem Tag, an dem ich erstmals richtig zu schätzen wusste, dass die Bezüge meines Sofas abnehmbar und waschbar waren.

Neben zahlreichen – bisher glücklicherweise nur einmaligen – Vorkommnissen, gab es auch einige Wiederholungstaten. Wann immer aus dem Badezimmer, dem neuen Ort der ordnungsgemäßen Geschäftsverrichtung nach dem Fiasko unterm Küchentisch, etwa ein länger als fünf Sekunden andauerndes Scharren zu vernehmen war, bedeutete das meist, dass der operierende Geschäftsführer Schwierigkeiten hatte, das Geschäft unter Dach und Fach und Streu zu bringen. Meist klebte es dann irgendwo an der inneren Seite des Katzenklos und beim Versuch, das Streu dort hinzubefördern, war dies über weite Distanzen aus dem Katzenklo hinauskatapultiert worden. Selbst in der Dusche fand sich dann schon das ein oder andere Klümpchen Streu, das seinen Weg durch die Duschvorhangbarriere gefunden hatte. Außerdem auf der Tagesordnung standen bisher auch immer Mörderpupse, die einem in ihren monströsen Ausmaßen zum Verlassen eines Raums zwangen und teilweise Abklingzeiten von bis zu 15 Minuten aufwiesen.

Alles in allem war die Anschaffung der beiden Fellnäschen also die beste Entscheidung seit Langem gewesen. Und obendrein war ich jetzt auch ausreichend gewappnet, um bei den Mütter-Gesprächsrunden wertvolle Beiträge in der Rubrik Windelstories liefern zu können. Bei mir wurde zwar die Tätigkeit des Windelwechselns durch das Kack- und Pieselnugget-Schürfen im Katzenkisterl ersetzt, aber ekelig war es wohl gleichermaßen. ❤

Auch Engel müssen mal. Gott segne die Erfinder des klumpenden Katzenstreus, welches hinwegnimmt die Schwierigkeiten der Erkennung Urin-behafteter Streu !

Cord ist Mord

Ich hasse es, Trends zu folgen. Es führt einem vor Augen, dass man ein absoluter Mitläufer ist und sich so gar nicht von anderen abhebt. Nichts kränkt den eigenen Stolz mehr. Warum Trends also so trendy sind, war mir seit jeher ein Mysterium. Als etwa in Österreich der Facebook-Trend aufkam, hielt ich der Versuchung, diesem Netzwerk beizutreten, etwa 5 Jahre lang eisern stand, da ich es tatsächlich dumm fand. Ich verspürte keinen Drang, freiwillig und ungefragt offenzulegen, wieviele Leute ich kannte; vor allem auch, weil es nicht sonderlich viele waren. Klar, ab und zu wollte ich schon „schöne Leute“ stalken, aber das konnte man zumeist auch ohne eigenen Account, da „schöne Leute“ dazu neigen, ihre Profile sowieso öffentlich zu haben. Am Ende ging ich Mark Zuckerbergs Werk aber doch noch ins Netz, als Facebook dann auch schon gar nicht mehr ganz so cool war und niemand mehr beim ersten Kennenlernen gleich fragte, wie man denn auf Facebook hieße. Den einzigen Trend, den ich je zelebriert habe, war den der Cordhosen in den 90ern. Und das auch nur, weil ich zufällig bereits zwei Jahre vor dessen Aufkommen im Besitz zweier – zum Zeitpunkt meines Kaufes hießen sie gemeinhin noch Schnürlsamthosen – gekommen war und hier also unverhoffter Vorreiter gewesen war. Ich trug meine samtenen Höschen quasi jeden Tag mit Überzeugung. Als dann die Teddybären unter den Hosen endlich den verdienten Siegeszug in der Modewelt antraten, dachte ich voller Wohlgefallen an den Tag zurück, an dem mich ein Mitschüler fragte, ob ich meine absolute Lieblingshose aus Schnürlsamt, die mir schon von der ersten Sekunde an im Geschäft sehr gefallen hatte und die ich freudig erstmals in der Schule ausführte, denn von der Caritas-Kleiderspende hatte. Zwei Jahre später streifte auch sein Hintern in einer – nun Cordhose genannten – Hose beim Tafellöschen an meinem Strebertisch in der ersten Reihe vorbei. Es machte mich jedoch ein wenig wütend, mit welcher Selbstverständlichkeit er die Hose trug; voller Stolz, als hätte er sie selber entdeckt und Cordhosen schon immer geliebt und getragen, während ich mir Jahre zuvor meine Spice Girl-ige Schlaghose in pastell-violett voller Scham übergezogen hatte, da es sich so anfühlte, als hätte ich die Kleidung und obendrauf die Identität von Emma aka Baby Spice gestohlen und wäre der ärgste „Wannabe„; als hätte ich als Minderjährige einen gefälschten Ausweis besorgt, um in DAS Szenelokal hineinzukommen, wo ich eigentlich gar nicht reinwollte, weil die Musik dort Scheiße war und ein G’Spritzter mehr als mein wöchentliches Taschengeld kostete und trotzdem nach Katzenlulu mit Soda roch. Nach der Sichtung meines Klassenkollegens in der Cordhose hatte ich meine jedenfalls nur noch an Wochenenden zuhause an. Nicht nur, weil mir eine, als ich mich einmal bückte, um etwas vom Boden aufzuheben, exakt an der Naht, die die beiden Pobacken mittig trennt, eine Handbreit aufgerissen war und ich mit der anderen beim Runterspringen von einem Holzzaun mit der an der rechten Pobacke aufgenähten Hosentasche an einer Latte hängengeblieben war, was ein ähnliches Resultat wie bei der erstgenannten Hose ergab. Ich wollte auch keinesfalls in Verbindung mit diesem Heuchler gebracht werden und musste mich schweren Herzen durch Cordhosenverzicht in der Öffentlichkeit distanzieren.

Live fast, die young – das Leben einer Stubenfliege

Jede Minute zusammen mit einer Fliege in einem – im schlimmsten Fall kleinen – Raum führt stets zu einem exponentionellen Anstieg meines Aggressionslevels. Nicht nur, dass ich Fliegen generell für dumm halte, weil sie das Prinzip von transparenten Materialien nicht verstehen können (bzw. wollen, wer weiß, ich möchte niemanden voreilig beschuldigen…), nein, sie sind darüber hinaus offenbar auch noch sturer als Eltern, wenn man sie als 16-Jährige/r davon überzeugen möchte, dass sie einem eine schriftliche Einwilligung für das coole 10 x 12 cm große FC Bayern-Fan-Tattoo auf dem linken Schulterblatt ausstellen sollen. Wenn man auch nach 20-maligem Scheitern beim Durchdringen eines Fensterglases an der immer gleichen Stelle noch nicht kapiert hat, dass man sein Glück woanders versuchen sollte, dann kann einem nicht mehr geholfen werden. Möglicherweise ist es auch nicht Sturheit, vielleicht sind die Dinger auch einfach nur hochgradig dement, wenn sie dasselbe Bewegungsmuster 20 Mal erfolglos wiederholen. Und dann darf man natürlich auch nicht vergessen, dass es der Hirnfunktion vermutlich auch nicht zuträglich ist, wenn man den ganzen Tag mit vollster Wucht mit dem Kopf voran gegen Glasscheiben kracht. Aber was war dann zuerst: Die Fliege, die gegen das Fenster flog, oder die eingeschränkte Hirnfunktion? So, oder so: Klingt wie eine teuflische Abwärtsspirale. Die vielen kreisenden Flugbahnen in derart schneller Geschwindigkeit beeinträchtigen sicherlich ebenfalls den Orientierungssinn. Denn wenn sie dann endlich mal eine Pause machen, es plötzlich ganz still wird und sie einfach so dasitzen, scheint es, als würden sie sich schnell wieder gefangen haben und sogleich wirken sie wieder viel seriöser und auch smarter. Wenn sie dann ihre kleinen, dünnen „Vorderbeinchen“ verschwörerisch aneinanderreiben, als würden sie einen geheimen Plan aushecken, wirken sie sogleich wie hyperintelligente Masterminds. Gleichzeitig verenden sie massenhaft an Fensterbänken, beim Versuch wie Fliegenjesus durch Fenster fliegen zu können. Angeblich befinden sich an den Füßchen spezielle Chemorezeptoren, mit denen sie Zucker schmecken können. Diese hysterisch anmutenden Bewegungsmuster könnten also auch einfach Folge eines Zuckerrausches sein. Ihr Verhaltensmuster würden auch mit denen von Drogenabhängigen zusammenpassen. Vielleich wollen sie sich selbst ausknocken, um zu vergessen, dass ihre Existenz unerwünscht und sinnlos ist; vielleicht tun sie es, um endlich wieder etwas zu fühlen. Aber es fällt mir schwer, hier – möglicherweise auch nicht einmal angebrachtes – Mitleid zu empfinden, denn ihr Rasen macht mich einfach nur rasend! Wenn ich jedoch eines gelernt habe, dann ist es, dass einem Hass nicht weiterbringt und es schlauer ist, zu schauen, was man von seinen Feinden lernen kann. Welche Lektionen können wir also von der kosmopolitischen Spezies der Stubenfliege für unser Leben mitnehmen? Ihr unglaubliches Durchhaltevermögen ist durchaus erstaunlich, ebenso ihr untrübbarer Optimismus: Sich selbst an Scheiße erfreuen zu können und diese sogar als Substrat für die Nachkommen zu nutzen, dafür zolle ich Fliegen meinen höchsten Respekt. Und ehrlich gesagt gibt es mir ein gutes Gefühl, wenn ich so nachdenke, wie klein meine eigenen Probleme sind im Vergleich zu denen von Fliegen, die es nicht einmal schaffen, den Ausgang bei einem weit geöffneten Fenster zu finden. Was sind schon 30 Minuten pro Tag, in denen man von einer scheinbar tollwütigen, amoklaufenden Fliege genervt wird, wenn man sich vor Augen hält, dass das gesamte Leben einer Fliege eigentlich nur aus Fäkalien, Essensresten und Fensterscheiben besteht.

Fliegen – die ungeladenen Stammgäste beehren beinahe weltweit Mensch und Tier mit ihrer lästigen Präsenz.