In meinem tiefsten Inneren wusste ich es schon immer, denn ich habe mich schon in frühster Kindheit tagelang in meinem Zimmer und mir, in meinem personal space also, zurückgezogen und mich und meine Gefühlsregungen stets aufmerksam und interessiert beobachtet. Seit ich denken kann brodelt in mir ein Süppchen aus Neid, Hinterhalt und einer Prise Arroganz, durchgehend auf knausriger Sparflamme, in massig Tränenflüssigkeit aus dem Mitleid mit mir selbst und mit Deckel drauf, damit auch nichts verdampft und nichts anbrennt und auch niemand vom Odeur meines Eintopfes einerseits – so die offizielle Version – gestört wird, aber andererseits – der wahre Grund – auch nicht davon „Wind bekommt“, denn das würde mein Selbstbild, von welchem ich auch möchte, dass es andere von mir haben, ordentlich zum Bröckeln bringen. Und außerdem ist das mein Süppchen, meins! Mit der Verteidigung meines geistigen Eigentums halte ich es ganz amerikanisch; da fällt schnell mal ein Schuss, wenn jemand das Areal meines geistigen Eigentums betritt, und selbstverständlich auch Warnschüsse, wenn jemand zu nahe und zu neugierig um meinen Zaun herumscharwenzelt. Andererseits zeige ich mich aber auch – wie etwa hier – sehr gastfreundlich, ja, exhibitionistisch absolut Fremden gegenüber. In gewisser Weise ist dieser Blog ja, wie bei so vielen „Bloggern“, eine ideale Selbsttherapieplattform. Abgesehen von den Kosten für die Domain und wordpress eine sehr preiswerte Alternative zum klassischen Gesprächstherapeuten, bei dem man sich – hat man erst mal ein halbes Jahr auf einen Ersttermin gewartet – jeden weiteren Termin mühevoll zeitlich koordinieren muss, was einem dann die Möglichkeit zur Spontanität raubt, jeden Tag so zu gestalten, wie man es selber gerne möchte. Ich betone hier Möglichkeit, da die wenigsten Menschen ihre Freiheit dahingehend in Anspruch nehmen und sowieso immer dasselbe tun und sich gleichzeitig beschweren, dass sie nicht dazu kommen, das zu tun, was sie wollen. Been there, still am. Neben dem zeitlichen Korsett, in welches einen die Gesprächstherapie zwängt, ist das für Selbstdarsteller natürlich wenig lohnend, wenn Arbeit – und sei sie auch an einem selbst für einen selbst verrichtet – unerkannt bleibt und keine vorzeigbaren Resultate bringt. (An dieser Stelle: Bap’n halten an die friedvollen Haters, die an dieser Stelle apostolisch meinen, dass doch besonders die Arbeit an und mit sich selbst spürbare, ja gar lebenstransformierende Resultate für sich und die Umwelt mit sich bringt. Das interessiert keinen und das will niemand hören, das weiß ja jeder selbst.) Spannender ist es alle Male, diesen „Selbstreinigungsprozess“ – oder Prozess zur Selbstheilung oder Selbsterkennung oder weiß der Teufel, wie man es aus sozialmarketingtechnischer Sicht aktuell am besten nennt – nach außen zu kehren. Mein Verlangen danach, an mir selbst herumzuexperimentieren und meine Faszination für die dunklen, versteckten Wesenszüge in mir und im Menschen generell treibt mich an, meine digitalen, schriftlichen Therapietermine – wenn auch mangels Selbstdisziplin eher schleppend, aber immerhin sporadisch – wahrzunehmen und dabei auch so ehrlich, wie ich es in diesem Moment des Niederschreibens verkraften kann, zu sein. Es ist eine Art Katastrophengeilheit; eine weitere, wenn nicht sogar DIE wahre Pandemie unserer Zeit. Vor allem die Möglichkeit, wie der Phönix aus der Asche wiederauferstehen zu können, bietet einen ganz besonderen Reiz. Der Mensch misst seinen Erfolg nicht an absoluten Werten, sondern immer relativ zu anderen, zum Ausgangswert, oder zum Tiefpunkt. Der Mensch ist für Drama, für reales Theater gemacht. Aber ein derartiges Umarmen dystopischer Zukunftsvisionen scheint mir außerdem als Folge der fehlenden Auseinandersetzung und Verdrängung der Jung’schen Schatten in unserer Gesellschaft. Ich plädiere ja nicht für ein schamloses Ausleben dieser Seite, aber der mangelnde Raum, sich überhaupt damit auseinanderzusetzen zu können, kann ja nur krank machen. Nicht mal im Internet kann man mehr sein Arschloch raushängen lassen, geschweige denn abbilden lassen, da dies sofort zensiert würde. Als wäre böses Gedankengut wie Saatgut, genauer gesagt wie Flugsamen, die sich übers Internet wie eine Plage ausbreiten. Dieses Gedankenmodell ist zu passiv. Wo der Flugsame hingetragen wird, dort wird ohne weiteres Zutun das Verderben sprießen. Wenn es so einfach geht und Menschen ihren vorhandenen Gedankenrasen so schnell von Unkraut überwuchern lassen, dann ist ihr Rasen wohl ohnehin nicht sehr robust und gesund und außerdem müssen Nährboden und Klima passen. Da gefällt mir die Idee vom bösen Gen schon besser… Jedenfalls kann man psychisch gesunde Menschen meines Erachtens durchaus auch böse/schlechte Gedanken und Bilder zumuten. Ich behaupte sogar, dass dies essentiell für den geistigen Entwicklungsprozess ist. Deshalb sollten sich Kinder auch ab und zu mal eine Tierdoku etwa über Raubkatzen ansehen. Und nicht immer nur Tom und Jerry. Tom und Jerry macht mich beispielsweise immer RASEND, ich konnte und kann es mir bis heute nicht ansehen. Ja, klar, Tom möchte Jerry – naturgemäß – brutal ausweiden und es ist verständlich, dass Jerry sich wehren möchte und Tom nicht wohlgesonnen ist, aber diese selbstgefällige, arrogante und spöttische Art des „guten“ Jerry’s macht es mir unmöglich, mich auf die Seite des Davids im Kampf gegen Goliath zu schlagen und ihm ein langes, glückliches Leben zu wünschen. Ich weiß nicht, ob ich so düster denke, weil ich von meiner Großmutter immer Struwwelpeter, Suppenkaspar und Co. aufgetischt bekommen habe und dies für mich der Maßstab war, an welchen sich andere Märchen und Geschichten zu orientieren hatten, oder ob es tatsächlich eine mir innewohnende Sehnsucht nach Geschichten mit bösem Ende gibt. Ich kann auch nicht sagen, ob es mir geschadet hat. Kurzzeitig verstört und geschreckt haben mich die Erzählungen auf jeden Fall und auch die Illustrationen haben sich eingebrannt, trotzdem, oder deswegen, denke ich, dass ich viel Nützliches über die Psychologie des Menschen gelernt habe. Auch als Kind hatte ich schon immer Vorbehalte gegen die vermeintlich „guten“ Helden und große Sympathien für Bösewichte in Geschichten. Für die Hexe bei Hänsel und Gretel etwa, der ich den Happen Hänsel schon gegönnt hätte, oder Hatschi Bratschi oder die Hexe Kniesebein, die ja auch von etwas leben müssen. Dieses ständige Gewinnen der „guten“ Seite, obwohl sie sich oft selbst nicht korrekt verhalten, war mir immer zu weißgewaschen. Ist das Böse denn tatsächlich immer so einfach zu besiegen? Ist das „Gute“ immer stärker? Abgesehen davon, dass Hatschi Bratschi Luftballon etwa heutzutage gar nicht mehr vorgelesen werden sollte, da es ja rassistisch ist, ist eine klare Entwicklung in Richtung Schonung der Gesellschaft vor schlechten Enden und enttäuschter Hoffnungen seitens Leserschaft, die doch noch eine Wandlung der Hauptcharaktere herbeigesehnt hatten, wie sie etwa noch bei Hoffmann alle Hoffnung der Leserschaft zerstörend waren. Der Leser sieht die Hauptfiguren der Geschichten ja direkt ihren Abgründen zulaufen, es ist offensichtlich, dass das zu Tage gelegte Verhalten ins Verderben führen wird. Doch das Schicksal scheint nicht nur unaufhaltsam, es ist es auch. Und dies ist auch die Lehre, die man öfter als nicht aus dem Leben zieht. Vor allem als „Zuseher“ wird man oft enttäuscht, dass ein Mensch seinen Verhaltensmustern nicht entfliehen kann bzw. es oft auch gar nicht zu wollen scheint. Dass etwa Drogenabhängige ihre Süchte nicht abhängen. Das sind wahre Suppen-Kaspar-Schicksale. Und ich finde es nicht schlecht, dass man darüber erfährt. Dass es ohne Einsatz kein Happy End geben wird; dass es nicht selbstverständlich ist, dass man seine inneren Dämonen erstens: erkennt, zweitens: konfrontiert und drittens: zähmt. Aber warum bin ich jetzt ein Arschloch? Trage ich das Arschloch-Gen in mir? Ursprünglich wollte ich ja über etwas ganz anderes schreiben, woraus hervorgekommen wäre, inwiefern ich das gemeint habe, aber ich bin gedanklich und schrifltich abgeschweift. Und jetzt habe ich gerade keine Lust mehr dazu.
