Live fast, die young – das Leben einer Stubenfliege

Jede Minute zusammen mit einer Fliege in einem – im schlimmsten Fall kleinen – Raum führt stets zu einem exponentionellen Anstieg meines Aggressionslevels. Nicht nur, dass ich Fliegen generell für dumm halte, weil sie das Prinzip von transparenten Materialien nicht verstehen können (bzw. wollen, wer weiß, ich möchte niemanden voreilig beschuldigen…), nein, sie sind darüber hinaus offenbar auch noch sturer als Eltern, wenn man sie als 16-Jährige/r davon überzeugen möchte, dass sie einem eine schriftliche Einwilligung für das coole 10 x 12 cm große FC Bayern-Fan-Tattoo auf dem linken Schulterblatt ausstellen sollen. Wenn man auch nach 20-maligem Scheitern beim Durchdringen eines Fensterglases an der immer gleichen Stelle noch nicht kapiert hat, dass man sein Glück woanders versuchen sollte, dann kann einem nicht mehr geholfen werden. Möglicherweise ist es auch nicht Sturheit, vielleicht sind die Dinger auch einfach nur hochgradig dement, wenn sie dasselbe Bewegungsmuster 20 Mal erfolglos wiederholen. Und dann darf man natürlich auch nicht vergessen, dass es der Hirnfunktion vermutlich auch nicht zuträglich ist, wenn man den ganzen Tag mit vollster Wucht mit dem Kopf voran gegen Glasscheiben kracht. Aber was war dann zuerst: Die Fliege, die gegen das Fenster flog, oder die eingeschränkte Hirnfunktion? So, oder so: Klingt wie eine teuflische Abwärtsspirale. Die vielen kreisenden Flugbahnen in derart schneller Geschwindigkeit beeinträchtigen sicherlich ebenfalls den Orientierungssinn. Denn wenn sie dann endlich mal eine Pause machen, es plötzlich ganz still wird und sie einfach so dasitzen, scheint es, als würden sie sich schnell wieder gefangen haben und sogleich wirken sie wieder viel seriöser und auch smarter. Wenn sie dann ihre kleinen, dünnen „Vorderbeinchen“ verschwörerisch aneinanderreiben, als würden sie einen geheimen Plan aushecken, wirken sie sogleich wie hyperintelligente Masterminds. Gleichzeitig verenden sie massenhaft an Fensterbänken, beim Versuch wie Fliegenjesus durch Fenster fliegen zu können. Angeblich befinden sich an den Füßchen spezielle Chemorezeptoren, mit denen sie Zucker schmecken können. Diese hysterisch anmutenden Bewegungsmuster könnten also auch einfach Folge eines Zuckerrausches sein. Ihr Verhaltensmuster würden auch mit denen von Drogenabhängigen zusammenpassen. Vielleich wollen sie sich selbst ausknocken, um zu vergessen, dass ihre Existenz unerwünscht und sinnlos ist; vielleicht tun sie es, um endlich wieder etwas zu fühlen. Aber es fällt mir schwer, hier – möglicherweise auch nicht einmal angebrachtes – Mitleid zu empfinden, denn ihr Rasen macht mich einfach nur rasend! Wenn ich jedoch eines gelernt habe, dann ist es, dass einem Hass nicht weiterbringt und es schlauer ist, zu schauen, was man von seinen Feinden lernen kann. Welche Lektionen können wir also von der kosmopolitischen Spezies der Stubenfliege für unser Leben mitnehmen? Ihr unglaubliches Durchhaltevermögen ist durchaus erstaunlich, ebenso ihr untrübbarer Optimismus: Sich selbst an Scheiße erfreuen zu können und diese sogar als Substrat für die Nachkommen zu nutzen, dafür zolle ich Fliegen meinen höchsten Respekt. Und ehrlich gesagt gibt es mir ein gutes Gefühl, wenn ich so nachdenke, wie klein meine eigenen Probleme sind im Vergleich zu denen von Fliegen, die es nicht einmal schaffen, den Ausgang bei einem weit geöffneten Fenster zu finden. Was sind schon 30 Minuten pro Tag, in denen man von einer scheinbar tollwütigen, amoklaufenden Fliege genervt wird, wenn man sich vor Augen hält, dass das gesamte Leben einer Fliege eigentlich nur aus Fäkalien, Essensresten und Fensterscheiben besteht.

Fliegen – die ungeladenen Stammgäste beehren beinahe weltweit Mensch und Tier mit ihrer lästigen Präsenz.