Untragbar

Modephilosophisch erkannte ich meinerseits viele Überschneidungen mit Karl Lagerfeld, der gemeint hatte, Jogginghosen seien ein Zeichen der Niederlage (oder des Niederlegens?). Wer eine Jogginghose in der Öffentlichkeit trage, der habe die Kontrolle über sein Leben verloren. Also warum sollte ich daraus ein Geheimnis machen? Und außerdem: Solche Leute, die etwa bei über 25°C Anzüge trugen, die hatten wohl schon längst die Kontrolle an jemand anderes abgetreten. Da fuhr ich lieber in Schlangenlinien mit meinem Fahrrad, als gar kein Fahrrad zu haben; das Jogginghosen-Übel war mir also bedeutend lieber. Und sollte mir in meiner Couchpotato-Panier jemand, etwa aus der Arbeit, über den Weg laufen, so würde die- oder derjenige sofort Bescheid wissen; man würde sich nur von angemessener Entfernung aus zunicken und es wären keine weiteren Fragen mehr offen. Pyjama in der Öffentlichkeit wären somit auch eine relativ zuverlässige Smalltalk-Präventionsmaßname. Und auch eine nachhaltige. Sich zum Verlassen des Hauses extra umziehen war meiner Meinung nach sowieso eine der größten und sinnlosesten Lästigkeiten des Lebens. Mode hatte im Laufe der Geschichte so viele Bedeutungen durchlebt: Schutz, Zugehörigkeit, Präsentation, Selbstverwirklichung. Und immer mehr scheint es mir nun auch Restriktion und im gewissen Sinne Selbstgeißelung. Wie viele Damen zupften etwa im Sommer ihre zu kurzen Miniröcke verlegen nach unten und ihre zu knappen Tube-Tops nach oben und vergaßen dabei ganz, was für ein herrliches Wetter gerade war. Wieviele Konten waren zu Monatsende hin überzogen, damit man auch zur anthrazitfarbenen Hose einen farblich perfekt abgestimmten Gürtel hatte. Wenn ich daran dachte, wieviele Kleidungsstücke ich mir nur gekauft hatte, um für eine bestimmte Gelegenheit passend gekleidet zu sein. Oft hatte ich diese Stücke später nicht einmal für diese spezielle Gelegenheit angezogen, da ich mir darin zu Hause im Spiegel nur mehr als trauriger Faschingsnarr gegenüberstand. In solchen Situationen war ich dann doch oft, wenn auch leider nicht immer, stolz genug, mich lieber eventuell vor anderen Leuten zu blamieren, als mich vor mir selbst bloßzustellen. Zahlreiche Zeitzeugen ungezügelter und unüberlegter Konsumräusche gammelten noch heute ungetragen in lebenslänglicher Haft in meinem Kleiderschrank herum, gebrandmarkt mit einem niemals entfernten Preisetikett. Für den Fall, dass ich sie doch noch zurückgeben würde. Ob Karl Lagerfeld, der Mann im weißen Hemd, dieses Problem wohl gekannt hatte und in seinem Schrank zig preisbeschilderte Hemden in allen Farben des Regenbogens gehortet hatte? Ich wagte es zu bezweifeln. Doch eine Jogginghose, eine Jogginghose hatte er mit Sicherheit.

„Meine Devise im Leben: Es fängt mit mir an und es hört mit mir wieder auf.“

Hier noch einige inspirierende Zitate von Karl Lagerfeld, Abkömmling einer Kondensmilchdynastie:

1. „Ich hasse das Wort billig. Menschen sind billig, Bekleidung ist dagegen teuer oder preiswert.“

2. „Man muss das Geld zum Fenster rauswerfen, damit es zur Tür wieder reinkommt.“

3. „Ich stand nie unter Druck. Stress – kenne ich auch nicht. Ich kenne nur Strass.“

4. „Wenn mich Deutsche ansprechen, um mir zu erzählen, dass sie auch Deutsche sind, sage ich immer: Da gibt’s 80 Millionen von.“

5. „Es tut mir leid: Was ich sage, ist nur gültig, wenn ich es gerade sage.“

6. „Ich leide an einer Überdosis meiner selbst.“

7. „Am Fließband stehen, das ist Arbeit. Was ich mache, ist Freizeitgestaltung mit beruflichem Hintergrund.“

8. „Man lernt nur aus seinen Fehlern. Erfolg hat noch keinem geholfen.“

9. „Sexualität ist heute nur noch eine Sportart.“

10. „Ein Selfie ist elektronische Masturbation.“

11. „Nichts macht einen älter, als wenn man versucht, jung auszusehen.“

12. „Scham ist eine Frage der Selbstachtung.“

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